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Ehe mit Mutter, Vater und zwei Kindern als einzige Form der Familie? Die Evangelische Kirche in Deutschland zeigt sich - im Gegensatz zur katholischen Kirche - nun noch offener.

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Familienpapier der EKD: Auch in der Kirche wird betrogen und gelogen

Der Streit um das EKD-Familienpapier offenbart auch innerkirchliche Heuchelei. Während nach außen hin die Form beschworen wird und Bischöfe mit der Anzahl ihrer Ehejahre und Kinder hausieren gehen, blühen hinter den Kulissen die Affären, es wird betrogen und belogen.

Es war ruhig geworden in der evangelischen Kirche. An der Spitze steht kein Wolfgang Huber mehr, der mit Ehrgeiz und Intellektualität polarisierte. Auch keine Margot Käßmann, an deren Popularität und bisweilen Naivität sich die Geister schieden. Nach Käßmanns spektakulärer Alkoholfahrt und ihrem Rücktritt war der rheinische Präses Nikolaus Schneider angetreten, um die Kirche aus der Krise herauszumanövrieren und vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Das ist ihm gelungen. So gut, dass sich Kritiker nach dem Kirchentag in Hamburg vor zwei Monaten wünschten, es möge endlich mal wieder echte Kontroversen geben und mehr politische Debatten.

Nun ist der Skandal da: Die evangelische Kirche hat ihr Familienbild modernisiert. Vor einem Monat veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine 160 Seiten starke „Orientierungshilfe“ zu dem Thema. Seitdem wird leidenschaftlich gestritten, polemisiert und debattiert. Die Ehe wird in dem neuen Papier nicht mehr als alleiniges Leitbild für familiäres Zusammenleben betrachtet. Leitbild und Ideal sind für die evangelische Kirche nun alle Partnerschaften, in denen sich zwei Menschen verlässlich und verantwortlich auf Dauer aneinander binden und sich um ältere Angehörige oder Kinder kümmern. Nicht mehr die bürgerliche Rechtsform soll ausschlaggebend sein, auch nicht, ob Mann und Frau oder Mann und Mann zusammenleben. Entscheidend ist der Inhalt, die Qualität der Beziehung.

Ob Menschen alleine bleiben oder sich binden, ob sie mit oder ohne Trauschein zusammenleben, sich Kinder wünschen oder nicht, das sind nicht nur Lebensstilfragen. Sie zielen ins Eingemachte, Existenzielle. Sexualität und Religion sind die intimsten Bereiche des menschlichen Lebens. Wer in diese Bereiche eingreift, sei es auch nur mit Denkschriften, trifft Menschen dort, wo sie am empfindlichsten sind. Dass das neue EKD-Papier heftige Emotionen auslösen würde, kann deshalb nicht überraschen.

Konservative Kritiker werfen der EKD nun Beliebigkeit vor, weil sie die Ehe nicht mehr auf einen Sockel stellt und andere Partnerschaften nicht mehr abwertet. Manche sehen gar den Anfang vom Ende des Protestantismus heraufziehen und werfen Nikolaus Schneider vor, dessen Totengräber zu sein.

In den Vorwürfen spiegelt sich die Erwartung, dass die Kirche eine Form als Ideal hochhält, auch wenn diese Form immer weniger gelebt wird. Die Form der Ehe soll Stütze bleiben, damit man sich in den „schlechten Tagen“ daran aufrichten kann. Das ist so ähnlich wie mit den Brandenburger Dorfkirchen, die mit Spendengeld saniert wurden, damit in der Mitte des Dorfes keine hässliche Ruine steht. Aber keiner kommt zum Gottesdienst.

Statt alte Grabenkämpfe neu zu kämpfen, zwischen Konservativen und Liberalen, vermeintlich Frommen und Ungläubigen, sollte mehr Ehrlichkeit die Debatte prägen. Die Heuchelei in der evangelische Kirche ist schließlich groß – bis hinauf in die Kirchenspitze. Während nach außen hin die Form beschworen wird und Bischöfe mit der Anzahl ihrer Ehejahre und Kinder hausieren gehen, blühen hinter den Kulissen die Affären, es wird betrogen und belogen. Das Ideal der Ehe wurde und wird nicht selten benutzt, um sich über andere zu erheben und abzugrenzen.

Das neue Familienbild ist deshalb kein Schritt in die Beliebigkeit, sondern im Gegenteil: ein ehrgeiziger Anspruch. Jetzt zählt nicht mehr die Schönheit der Fassade, sondern das, was sich dahinter abspielt, das wirkliche Leben. Wer in einer dauerhaften Beziehung lebt, weiß, wie schwierig es ist, verantwortungsvoll und gleichberechtigt miteinander umzugehen, Kinder großzuziehen, sich um Eltern zu kümmern und das auch noch so, dass die Liebe nicht stirbt, sondern wächst.

Daran scheitern auch immer mehr Pfarrer. Ihre Chefs erwarten faktisch, dass sie sieben Tage in der Woche arbeiten und erreichbar sind. Am Sonntag halten sie nicht selten zwei oder drei Gottesdienste. Gott zu dienen ist schließlich eine Herzensangelegenheit, Partner und Kinder können da warten.

Doch wie soll sich das mit einem Familienleben vertragen? Auch hier wird viel ummantelt, beschönigt und geheuchelt. Auch hier wäre mehr Ehrlichkeit gut.

Wenn das kirchliche Personal nicht mehr von der eigenen Institution in die Erschöpfung getrieben würde, wäre sicher auch mehr Zeit für Theologie. Und die wäre dringend nötig. In diesem Punkt haben die Kritiker Recht: Gerade mal ein Zehntel der 160 Seiten der Orientierungshilfe sind der theologischen Begründung gewidmet. Für die evangelische Kirche, die sich rühmt, es besonders ernst zu nehmen mit der Heiligen Schrift und dem Wort, dem Argument, ist das zu wenig.

Die evangelische Kirche wird nicht Schaden nehmen, weil sie der bürgerlichen Rechtsform der Ehe den exklusiven Status nimmt. Sie nimmt aber Schaden, wenn sie das, was ihr wichtig ist, nicht mehr ausreichend begründet. Und Probleme hinwegheuchelt, statt wahrhaftig zu leben.

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